Zeichnung:Steffen Butz



Presseecho zu Lenz

Am Rande des Wahnsinns

Das Xenia-Theater zeigt eine intelligente Version von Georg Büchners "Lenz"

"Friederike" brüllt er immer wieder und taucht seinen Kopf in die alte Zinkwanne, deren Griffe er fest umklammert hat. Erst als die junge Cellistin herbeieilt und ihn in seinem Wahn unterbricht, lässt er ab. Eine gequälte Seele am Rande des Wahnsinns, hilflos und einsam, allein im Nichts.

Mit einer intelligenten Inszenierung brachten das Karlsruhe "Xenia-Theater" (Peter Steiner und Nathalie Cellier) den Prosatext "Lenz" von Georg Büchner nun auf die Theaterbühne. Büchner begann die Erzählung vermutlich 1835 in Straßburg, konnte sie bis zum seinem Tod allerdings nicht mehr vollenden. Trotzdem zählt der "Lenz" heute zu den bedeutendsten Werke seine Zeit, besonders weil er ihr damit weit voraus war.

Zwei Menschen, eine junge Cellistin und ein Mann, treffen sich an einem unbekannten Ort. "Erzählen Sie, Herr Lenz, erzählen Sie", fordert sie ihn auf. Indem "Herr Lenz" Büchners Prosa rezitiert, gibt er wieder, wie der an einer Geisteskrankheit leidende Dichter Jakob Michael Reinhold Lenz ins Steintal in den Vogesen kommt, um beim dortigen Pfarrer Oberlin Hilfe zu suchen.

An Sprache hinzugefügt wurden nur die Einwürfe der Cellistin. Herr Lenz, fabelhaft dargestellt von Peter Steiner, taucht in die Seelenwelt des Dichters Lenz ein und erweckt ihn zum Leben, bis beide Identitäten nicht mehr auseinanderzuhalten sind. Mit der strubbeligen Sturm-und-Drang-Perücke in der einen Hand und einer Art Birett in der anderen lässt er Lenz und Oberlin sprechen.

Geschichte und Bühnenrealität verschwimmen immer mehr, besonders wenn er sich im Affekt selbst eine der beiden Kopfbedeckungen aufzieht. Gerade in den Momenten exaltierter Quälerei, wenn er sich wieder seines Hemdes entledigt hat und mit wirrem Blick faselnd an sich selbst zu verzweifeln beginnt, ist die Rolle der Cellistin (Cornelia Stank) besonders exponiert: Kratzgeräusche, die Andeutung eines Schlafliedes, ein verzerrter Walzer.

Die Figur der Cellistin ist mit den einfühlenden Improvisationen mehr als nur eine musikalische Begleitung. Sie kommuniziert auf diese Weise mit ihrem Gegenpart, und holt ihn auch in die Realität zurück, wenn er mal wieder dabei ist, sich im eigenen Wahnsinn zu verlieren: "Lenz - Herr Lenz"?

Julia Blank, Badische Neueste Nachrichten vom 28. Oktober 2011